Seit gut über einem halben Jahr gehöre ich zur Gruppe „Emaus“, einer Gruppe, die eine Gruppe von
Gefangenen in der Siegburger Justizvollzugsanstalt bereits seit 10 Jahren ehrenamtlich betreut hat und bisher noch im vollen Einsatz ist. Ich habe mich der Gruppe angeschlossen, weil ich meine Freizeit mit
etwas Schönem verbringen und dadurch auch möglichst viel Erfahrungen für ‚zukünftige Pastoralkonto‘ sammeln wollte. Die Zielsetzung der Gruppe besteht darin, den Gefangenen, die von der Gesellschaft ausgestoßen und daher physisch und psychisch recht isoliert sind, möglichst Unterstützung für die
Wiedereingliederung in die Gesellschaft sowie für eine bessere Zukunft zu gewähren, falls sie wieder in die freie Luft entlassen werden. In Bezug darauf setzt die Gruppe die Hauptakzente der Betreuung darauf,
diesen Ausgestoßenen trotz allen Vorwürfen das Gefühl von Geliebtsein und Angenommensein zu vermitteln und ihnen aufzuzeigen, daß sie doch noch viel wert sind. Jeder in unserer Gruppe hält an dieser Grundhaltung bei allen Kontakten fest.
Beim ersten Besuch bin ich mehr oder weniger sprachlos gewesen. Physisch geht’s ihnen recht gut, da neben der körperlichen Arbeiten, die grundsätzlich zur Hauptbildung gehört, auch die Möglichkeit zum
Sport vorhanden ist. Psychisch jedoch scheinen mir die Insassen überwiegend weder Orientierungsfähigkeit noch Achtsamkeit auf die Gegenstände zu besitzen. Ich nenne einige Erfahrungen, mit denen ich anfänglich mühe hatte. Da wird z.B. während des Gesprächs übertrieben viel gegenseitig
ausgelacht. Es kommt auch fast immer vor, daß einer nach dem andern zum Rauchen den Raum verläßt, obwohl wir noch beim Gebet sind. Mich stört das natürlich schon. Aber was könnte man hier tun? Wir sind
doch gerade im Gefängnis, so tröste ich mich verständnisvoll. Unser Treff- und Gebetsraum ist auch klein und immer so furchtbar stinkig. Vor kurzem habe ich erfahren, daß der Raum gelegentlich auch als Rauchsalon zu Verfügung steht. Die Zigaretten kauften sie mit ihrem wenigen Tageslohn. Und in diesem
Raum treffen wir uns jede Woche. Hier wird gesungen, gebetet und ein Bibeltext vorgelesen und betrachtet, geolgt vom persönlichen Gespräch über alles Mögliche: von schmerzhafter Einsamkeit bis zur erwaltungsangelegenheit, usw. Von psychischen Belastungen, die sich durch Minderwertigkeit und
Isolierung verstärken, sind meisten die Gespräche geprägt. Nach zwei Stunden müssen wir zum unseren gewöhnlichen Alltag zurückkehren: wir fahren nach Hause und sie gehen wieder in die einsame verriegelte Zelle. Wir sehen uns nächste Woche bestimmt wieder.
Der ganze Verlauf ist wirklich ein mühsamer Lernprozeß, bis ich endlich mal daran gewöhnt bin. Nach und nach wächst das Vertrauen in mir, in dessen Rahmen wir uns eben aufeinander einzulassen und zu lieben lernen. Aber erst nach zwei Monaten komme ich im Umgang mit ihnen richtig zurecht. Wichtig ist
bei allen Begegnungen Herz und Ohr. Selbst bin ich außerordentlich bereichert, daß ich die Gefangenen mit ihren vielfältigen kulturellen Prägungen auf eine ungewöhnliche Weise kennenlernen kann. Ich habe
immer ein unbeschreibliches Glücksgefühl, wenn ich die Freude ans ihren Augen strahlen sehe, daß sie sich gleichberechtigt fühlen. Da fällt die Mauer von Herkunft und Leistungsfähigkeit. Nur der gute Willen zählt. Alles andere ist Quatsch, sagte mal ein Gefangener!
Aber wie bei jeder Begegnung tauchen auch bei unserer die Grenzerfahrung und Gefährdung auf. Einige Male war ich recht verzweifelt. Mir scheint die wesentliche Lebenswende nach der Gefangenschaft irgendwie nur noch im luft-leeren Raum zu schweben. Mit Sicherheit kann man nicht behaupten, aber
wenigstens nur hoffen, daß ihr zweiter Lebensabschnitt besser aussehen mag. Diese Möglichkeit besteht nur im geringen Maß. Viele von ihnen hatten vor der Gefangenschaft keine Ausbildung und damit auch
keine Arbeit, manche sind obdachlos und Drogenhändler. Ein Zigeuner erzählte mir, er sitze zum zweiten Mal im Gefängnis und fühle sich hier wohl! Er sei bald wieder auf freiem Fuß. Aber da draußen könne er
nichts anfangen, so gehe er wieder rein.
Schon am Anfang stellte ich mir selbst die Frage: welchen Lohn wollte ich durch den Apostolat gewinnen, wenn damit nicht viel zu wirken ist? Ist es nicht schön, mich hinter den Klostermauern zu versteckten, und keine Zeit verlieren zu müssen? Warum wollte ich auf diejenigen zugehen, die sich nur schwerlich verbessern können? Wahrscheinlich müssen wir die Wirkung unserer Arbeit dem Heiligen Geist überlassen. Denn missionarisch gesehen ist da die „Bekehrung“ wirklich ein sehr geringer Faktor. Und nun wenn mir jemand die Frage stellt, warum ich trotzdem das Gefangenschaftsapostolat noch mitmache,
oder welche Gedankenströmung mich dabei beeinflußt, fällt es mir etwas schwer, die entsprechende Antwort zu geben. Nur, die Zuwendung zu den Randgruppen gewinnt in unserer Mission immer mehr Gewicht. Wir verstehen unsere Aufgabe immer im Zusammenhang mit den soziologischen,
anthropologischen Gegebenheiten am Ort, wo wir tätig sind. Daß in dieser modernen Gesellschaft noch die Randgruppen existieren, mag unseren Blick und unser Verständnis von Mission etwa erweitern; Mission, die menschliches Schicksal konkret einbezieht, ist gefragt. „Wir kämpfen nicht nur gegen Hunger, Unwissenheit und die Verweigerung menschlicher Rechte, sondern viel mehr noch gegen die Sünde in den Herzen der Menschen, welche die tiefste Ursache für die Strukturen und Systeme der Unterdrückung ist,
aus denen diese Übel kommen“, so ruft unsere Konstitution 112§2 in Erinnerung. Gerade deshalb wird das
Thema als Schwerpunkt unseres missionarischen Einsatzes behandelt und weiter bearbeitet. Wir haben viele Mitbrüder, die sich für solchen Dienst sowohl in Europa als auch in anderen Weltteilen aktiv einsetzen. Die Menschen, vor allem die Armen und Notleidenden, sind in unserer Mission immer das
Hauptprojekt und liegen uns am Herzen. Unsere Verkündigung soll dazu dienen, daß die Menschen ihr Leben, das auf dem Glauben an Gott basiert, menschlich gestalten. Im größeren Rahmen, in dem wir uns als Mitglieder der missionierenden Kirche verstehen, interessiert mich äußerst stark, was A. Delph richtungsweisend für unseren pastoralen Schwerpunkt zu sagen hat: „Das Schicksal der Kirchen wird in der kommenden Zeit nicht von dem abhängen, was ihre Prälaten und führenden Instanzen an Klugheit,
Gescheitheit, „politischen Fähigkeiten“ usw. aufbringen. Auch nicht von den „Positionen, die sich Menschen aus ihrer Mitte erringen konnten. Das alles ist überholt...“ Es wird ankommen auf „die Rückkehr der Kirchen in die Diakonie: in den Dienst der Menschheit. Und zwar in einen Dienst, den die
Not der Menschheit bestimmt, nicht unser Geschmack oder das Consuetudinarium (die Gewohnheiten) einer noch so bewährten kirchlichen Gemeinschaft...“
Diesbezüglich stellt sich dann spontan ein Frage zum Bedenken: sollen wir nur dahin gehen, wo wir feierlich empfangen werden, oder müssen wir auch an den Orten mitwirken, wo wir missionarisch betrachtet nichts zu ernten haben, wie meine Erfahrung bei Gefangenen? Welche Missionseinstellungen
uns in der heutigen pluralistischen Gesellschaft ansprechen? Oder was können wir als Steyler überhaupt tun soll? Ich lade meine Mitstudierenden alle zum Mitdenken ein. Samuel Sori