Dialog in Moldawien
Um die aktuelle Lage in der Moldau verstehen zu können, ist es wichtig, einige
landesspezifisch geografische, historische, kulturelle und wirtschaftliche Daten
vorauszuschicken: Die heutige Republik Moldau - besser bekannt unter dem früheren
Namen Bessarabien - grenzt im Westen des Landes an Rumänien (Grenzfluss Pruth),
ansonsten wird sie von der Ukraine umgeben. Moldawien ist flächenmäßig etwa so groß wie
Baden-Württemberg und zählt derzeit rund 4,5 Millionen Einwohner, wobei rund 600.000
Moldauer im Ausland arbeiten. Die Landeshauptstadt heißt Chisinau mit etwa 700.000
Einwohnern. Die Landeswährung nennt sich Lei (1DM ÷ 5,40 Lei). Das Land hat eine sehr
wechselvolle Geschichte durchlitten: 600 Jahre lang wurde es von verschiedenen
Fremdherrschaften unterworfen. Türken und Russen herrschten über das Land. 1944 wurde
Moldawien der UdSSR angegliedert und blieb bis 1991 Teil des kommunistischen
Sowjetreiches, ehe es dann eine selbstständige Republik wurde. Das Land ist wirtschaftlich
stark verarmt. Es hat keine Bodenschätze und ist auf Hilfe von außen angewiesen.
Moldawien steht an 15. Stelle unter den 17 osteuropäischen Staaten und an 4. Stelle unter
den ärmsten Ländern der Erde. 80% der Bevölkerung leben von einem Monatseinkommen
unterhalb der Armutsgrenze (entspricht etwa 100 DM). Eine Monatsrente beträgt
durchschnittlich 35 DM.
Die Mehrheit der Bevölkerung kann sich immer noch nicht die regelmäßige Versorgung mit
Fisch, Fleisch, Milch und anderen lebensnotwendigen Nahrungsmitteln leisten. Etwa drei
Viertel der Republikfläche werden landwirtschaftlich genutzt. Die Arbeit in der Landwirtschaft
wird größtenteils noch so verrichtet wie vor 100 Jahren, nahezu alles von Hand. Es werden
Wein, Obst, Mais, Weizen, Zuckerrüben, Gemüse und Tabak angebaut, sowohl für den
Eigenbedarf als auch zum Verkauf auf den Straßen. Industrie gibt es sehr wenig; sie erbringt
nur ca. 37 % des Bruttoinlandsprodukts und beschäftigt lediglich etwa 40 % der im
erwerbsfähigen Alter befindlichen Menschen, d.h. die Arbeitslosenquote ist sehr hoch.
Löhne und Renten werden oft monatelang - im Durchschnitt 6 Monate - nicht ausgezahlt.
Es blüht die Korruption auf allen staatlichen Ebenen. Öffentlich Bedienstete wie Lehrer und
Polizisten werden unterbezahlt. Zahlreiche einheimische Lehrerinnen und Lehrer haben
Moldawien bereits verlassen und versuchen aufgrund der unsicheren Lage ihr Glück im
Westen oder weiter im Osten, z.B. in Russland. Es kann nur jemand die Schule besuchen,
wenn das entsprechende Schulgeld monatlich im voraus gezahlt wird, obwohl Schulpflicht
herrscht.
Moldawien ist ein religiös, kulturell und psychisch sehr verwundetes Land. Die gewaltsame
Sowjetisierung 1944 bedeutete die Ermordung eines großen Teils der Intelligenz und der
Oberschicht des Landes; es wurden Massendeportationen nach Sibirien und
Zwangsumsiedlungen aus dem Osten, z.B. aus Kasachstan, Georgien, Russland,
Weißrussland und Litauen durchgeführt.
Mit der Einführung des Russischen als einziger offizieller Sprache wurde den Menschen
schließlich ihre kulturelle und nationale Identität genommen. So müssen heute Moldauer
und Angehörige anderer Nationalitäten miteinander leben. Bis 1940 gehörten dazu auch
rund 100.000 Deutsche, deren Zahl durch Zwangsumsiedlung und Vertreibung mehr und
mehr verkleinert wurde. Diese können vereinzelt nur noch gebrochen Deutsch sprechen. Die
Nationalsprache ist seit 1989 Moldauisch, d.h. im Grunde Rumänisch; durch den starken
Einfluss der Sowjetunion aus der Vergangenheit wird auch noch Russisch gesprochen. Die
Ablehnung des Rumänischen vonseiten der russischsprachigen Bevölkerung mit ihrem
anderen kulturellen und historischen Hintergrund ist deutlich spürbar. Angesichts der vielen
Völker, die in der Republik Moldawien zusammenleben, stellt sich die Frage: Wie sieht die
eigene Identität der Landesbevölkerung aus? Zum anderen gibt es einen regelrechten
Wettstreit der Kirchen und Sekten (z.B. Zeugen Jehovas, Mormonen, Hare Krishna)
untereinander.
Nach den langen Jahren des Kommunismus wurden nach der Unabhängigkeit 1991 die
christlichen Konfessionen wieder zugelassen. Die Mehrheit der Bevölkerung gehört der
rumänisch- bzw. russisch-orthodoxen Kirche an. Nur eine kleine Minderheit bekennt sich
zum katholischen Glauben - etwa 20.000 Katholiken. Die weitaus größte Gruppe der
Katholiken spricht polnisch.
Pater Klaus Kniffki, Steyler Missionar, arbeitet seit Juni 1996 in Stauceni, einem Ort, 8 km
von der Hauptstadt Chisinau entfernt. Hier betätigt er sich als Seelsorger und baut eine
ständig wachsende christliche Gemeinde auf. Zwei polnische Ordensfrauen unterstützen ihn
bei der Arbeit. Sie betreuen den Kindergarten, geben katechetischen Unterricht in der
Gemeinde und helfen täglich bei der Ausgabe einer warmen Mittagsmahlzeit. In den
meisten Fällen ist dies die einzige Mahlzeit am Tag, die Kinder und hilfsbedürftige ältere
Menschen zu sich nehmen. Das Suppenküchen-Projekt ist eine wichtige Voraussetzung für
die Aufnahme und Durchführung einer erfolgreichen Katechese. Pater Kniffki sagt selbst,
dass er nicht das heilige Brot teilen kann, wenn das tägliche Brot fehlt. Neben der täglichen
Speisung von ungefähr 150 Kindern und älteren Menschen hat das Projekt ein sozial-
christliches Erziehungsziel: Es soll soziales Verhalten, die Pflege bzw. Wiedereinführung
des Brauchtums, das Interesse an aktuellen Ereignissen in Kirche und Land sowie ein
langsam wachsendes Verantwortungsbewusstsein für sich und andere fördern. Zwei Jahre
lang war seine Gemeinde im wesentlichen eine Kindergemeinde. Trotz seiner Fürsorge um
die Kinder lassen sich bis heute ihre Eltern kaum sehen, auch nicht zur täglichen heiligen
Messe. Stattdessen wachsen ihm immer mehr erwachsene Gemeindemitglieder aus der
näheren Umgebung zu.
Vor einem Jahr wurde die neu errichtete Kirche feierlich eingeweiht zu Ehren des heiligen
Herzens Jesu. Neben der täglich stattfindenden heiligen Messe im Ort bietet der Pater
Kniffki zusätzlich für die deutschsprachige Bevölkerung in der Hauptstadt an jedem Sonntag
eine hl. Messe an. In der Hauptstadt selbst befindet sich auch die katholische Administratur,
Sitz des Apostolischen Administrators Msgr. Anton Cosa.
Zahlreiche Hilfsorganisationen und Freundeskreise aus dem In- und Ausland unterstützen
die Mission in Moldawien. Dennoch benötigt Pater Kniffki, der im umgebauten Pfarrhaus
nahe der Kirche in Stauceni wohnt, dringend pastorale Unterstützung für die katechetische
Arbeit in der Pfarrei. Mittlerweile konnte durch die intensive Mithilfe eines konvertierten
englischen Ehepaares ein katechetisches Institut gegründet werden, das auch von beiden
geleitet wird.
Meine Einsatzmöglichkeiten in der Pfarrei während meines sechswöchigen Aufenthalts in
Stauceni waren begrenzt aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse. Für mich ging es in
erster Linie darum zu erleben, wie Missionsarbeit in einem Land aussieht, das selber erst
einmal lernen muss, mit der eigenen Freiheit umzugehen. Es herrscht ziemliche Resignation
unter der Bevölkerung angesichts der existenziellen Not, besonders unter den wenigen
deutschstämmigen Landsleuten. Sie haben in der Hauptstadt Chisinau ein deutsches
Kulturzentrum gegründet und treffen sich dort zweimal in der Woche zur Chorprobe, um
deutsche Volks- und Kirchenlieder einzuüben. Fast alle von ihnen haben einen
Ausreiseantrag nach Deutschland gestellt.
In den ersten Wochen hatte ich mehrfach die Gelegenheit, Land und Leute von der Moldau
etwas näher kennenzulernen. Die dort lebenden Menschen sind sehr gastfreundlich und
nehmen ausländische Gäste gerne in ihre Mitte auf. Die angebotenen Mahlzeiten sind
meist sehr bescheiden. Hygienische Bedingungen und Wasserversorgung sind katastrophal.
Weitere problematische Zustände:
- Die Abtreibungsrate im Land ist sehr hoch - im Durchschnitt sieben bis acht Abtreibungen
pro Frau, die seelische Not vieler Frauen ist groß;
- das ungeklärte Verhältnis zu den rumänisch- und russisch-orthodoxen Christen.
Die Kinder, mit denen Pater Kniffki zuerst in der Pfarrei angefangen hat, sind sehr lebhaft,
begeisterungsfähig und engagieren sich sehr in der Gemeinde, sie gestalten das tägliche
Rosenkranzgebet. Sie sorgen dafür, dass die Straße, die zur Kirche und zum Pfarrhaus führt
und die von deutschen Spendenmitteln finanziert worden ist, einmal in der Woche gekehrt
wird.
Ich hatte die Gelegenheit, an zwei Pfarrfesten mit gleichzeitiger Amtseinführung der
Pastöre teilzunehmen. Es war schon beeindruckend, wie stark sich die Gemeindemitglieder
in ehrenamtlicher Weise für die Belange ihrer Pfarrei einsetzten. In diesem Zusammenhang
sei auch erwähnt, dass sich ebenso die orthodoxen Christen in die katholische Kirche
mit einbringen.
Winfried Werner